Scham und Verantwortung – ein Rant

Dieser Text ist für „Scham und Spalte stürzen das Patriarchat – 100 gute Gründe, rot zu werden“ – Die feministische Gala 2023 entstanden und wurde von uns dort vorgetragen. In dem Text wollten wir, nach einer langen Phase feministischer Theorie über Geschlecht und Kapitalismus, einfach mal über alles und jeden ranten – und haben diesen Text deshalb bewusst überspitzt formuliert. Viel Spaß beim Lesen.

Als wir über das Thema Scham nachgedacht haben, haben wir schnell an Männer gedacht. An Männer, die nach Vorträgen eine Frage stellen wollen, dann aber doch einen eigenen Vortrag über ihr Verständnis des Themas halten. An Männer, die in jedem Uni-Seminar dasselbe Marx-Zitat inklusive Seitenanzahl an egal welcher Stelle bringen. An Männer, die pöbeln, breitbeinig in der S-Bahn sitzen und uns gerne und häufig erklären, wie das mit der Technik so funktioniert. An die „feministischen“ Väter, die dann doch nicht in Elternzeit gehen.

Ihr habt vielleicht bemerkt, dass wir an Fremdscham dachten und nicht an unsere eigene. Wir waren uns aber schnell einig, dass wir keine Lust haben, uns für irgendwelche Männer zu schämen und dachten, es wäre doch netter, wenn wir uns für uns selbst schämten. Schließlich können wir nach Vorträgen auch ungefragt unsere eigenen Theorien zum Besten geben, Marx-Zitate auswendig lernen und unseren männlichen Freunden erklären wie ein Motor funktioniert – ungefragt natürlich.

Uns ist schon klar, dass es hier besser ankommen würde, wenn wir nun über schambehaftete Weiblichkeit sprechen und den Männern die Schuld dafür geben würden. Aber to be honest: haben wir nicht vor. Sondern sprechen heute alle an, die als Frauen leben und sagen euch: move your ass! Wenn wir uns für uns selbst statt für Männer schämen wollen, müssen wir auch etwas dafür tun!

Zu oft erleben wir Situationen, in denen sich Frauen über Ausformungen des Patriarchats aufregen und ihnen trotzdem folgen, obwohl wir keine Gründe dafür erkennen können – na ja, dass wir keine Gründe kennen, ist natürlich überzogen. Wir wissen genau, was eine weibliche Sozialisierung mit uns machen kann. Wir kennen das Gefühl aus den verschiedensten sozialen Kontexten eine Wohlfühloase schaffen zu wollen, ein Raum in der alle zu Wort kommen, sich gut und gesehen fühlen. Unangenehme Stille können wir mit eloquenten und klugen Fragen füllen, auf die Männer einsilbig und ohne Rückfragen antworten können.

Ja, wir kennen das gut. Doch appellieren wir hier ans Aushalten der unangenehmen Stille. Daran, aus der eigenen Rolle herauszutreten und sich an all die Frauen zu erinnern, die vor uns aus den Rollen herausgetreten sind, die das Patriarchat für sie vorgesehen hat. Durch sie können wir heute hier stehen, in Hosen und ohne einen Mann um Erlaubnis gebeten zu haben. Wir appellieren daran, aus dem Aufregen über patriarchale Strukturen und Gegebenheiten Taten folgen zu lassen. Und daran zu überlegen, ob alle Ausformungen der Strukturen, über die wir uns so gerne aufregen, unser Leben tatsächlich so stark bestimmen.

Ein beliebtes Thema ist beispielsweise der unordentliche männliche Mitbewohner, der wohl in dem Glauben lebt, dass sich das Geschirr von selbst abspült und die Dusche immer sauber bleibt. Durch was sollte sie auch dreckig werden, wenn man sich selbst darin wäscht? Wer kennt ihn nicht. Klar, das nervt. Und das führt durchaus dazu, dass man die einzige Person in der WG ist, die die Dusche putzt. Doch ganz ehrlich? Niemand zwingt uns dazu, das zu machen. Lasst es einfach, hört auf, euch zu kümmern! Schließlich folgen weder ökonomische noch soziale Repressionen, also was habt ihr zu verlieren? Außer vielleicht euren Mitbewohner. Kümmern ist ja generell ein Thema, das seit Jahrzehnten hitzige Debatten nach sich zieht. Und so richtig hitzig wird es, wenn Kinder ins Spiel kommen. Doch jetzt mal Tacheles. Im besten Fall kennen wir die Männer, mit denen wir Kinder bekommen vorher ganz gut, oder? Wir wissen, wie viel sie im Haushalt machen, ob sie sich kümmern, wie sie über ihre Gefühle reden – oder erwarten wir mal nicht zu viel – ob sie ihre Gefühle und Emotionen wahrnehmen können. Ist Frau dann wirklich so überrascht, dass er so wenig macht, sobald Kinder da sind? Überhaupt kann man sich natürlich darüber aufregen, dass er weder für die Kinder kocht noch mit ihnen zum Arzt geht. Aber mal ehrlich, wer denkt denn wirklich, dass der Vater des Kindes ernsthaft sein eigenes Kind verhungern lässt, es vergisst oder verliert?

Und btw: Jungs, wenn ihr auf euer Kind aufpasst, sprecht bitte nicht vom Babysitten. Es ist euer Kind! Wir haben das Gefühl, dass patriarchaler Zwang nicht der einzige Grund ist, warum Frauen sich mehr kümmern. Wir stellen die These auf, dass es für viele auch schwer sein kann, Kontrolle abzugeben. Dass es sich gut anfühlt, verantwortlich zu sein und gebraucht zu werden. Und dass es schwer ist, dieses Gefühl abzugeben. Vielleicht hat diese Kontrolle oder dieser – leider ökonomisch wie gesellschaftlich abgewertete – Machtbereich, der Kind und Küche umgibt, auch etwas mit dem eigenen Selbstwert zu tun. Vielleicht ist der Gedanke unangenehm, doch denken wir, dass er sich lohnt. Und wenn wir schon dabei sind, ehrlich zu sein. Was wir in dieser ganzen Debatte um Care-Arbeit schon immer mal loswerden wollten: Kuchenbacken ist keine Care-Arbeit. Entweder ich backe, weil es gerne mache oder ich lasse es und kaufe halt einen Kuchen, wenn ich denke, dass es nötig ist. Verantwortung rund um Hausarbeit und Erziehung abgeben heißt Kapazitäten zu haben, um an anderer Stelle Verantwortung zu übernehmen. Zeit zu haben für andere Projekte und Räume. Zeit, Texte zu lesen, sich zu informieren, zu streiten, Zeit, um von der feministischen Geschichte zu lernen und daraus auszubrechen. Wir hier, in unserer kleinen Bubble, können uns Räume nehmen, von denen Frauen in einem anderen Jahrhundert noch nicht einmal träumen konnten. Wir haben weit mehr als nur ein Zimmer für uns allein. Sich diese Räume nicht zu nehmen, ist okay – wenn man sie denn nicht möchte. Aber wer will, sollte zugreifen, statt sich nur darüber zu beschweren, dass die Männer wieder allen Raum eingenommen haben. Alle, die sich hier als Frauen verstehen: Nehmt euch ernst und setzt euch als Subjekt. Und klar gibt es misogyne Strukturen but don`t let your problems become excuses.

Vielleicht hat die ein oder andere jetzt das Gefühl, wir sind ihr auf den Schlips getreten. Wir sind doch alle Frauen und das Patriarchat meint es schon nicht gut mit uns, warum muss der afbl jetzt noch so auf uns rumhacken? Wollen wir nicht, aber wir nutzen diese Bühne, um unserem Frust Raum zu lassen und etwas unbequem zu sein. Weil wir, obwohl wir eine Frauengruppe sind, nicht dafür da sind, dass sich alle wohl und behaglich fühlen. Wir wollen uns unserer Sozialisierung nicht beugen. Schließlich erwarten wir auch von Männern, dass sie sich mit ihrer Rolle im Patriarchat auseinandersetzen und ihre Männlichkeit auf ein Minimum runterschrauben, also sollten wir nicht aufhören unsere eigene Sozialisierung genauso zu hinterfragen und darüber hinauszuwachsen. Wir sind nicht nur die Opfer des Patriarchats ohne Handlungsmacht. Wir sind Subjekte.