QUEERFEMINISTISCHER KALENDER
Interview
2024 | 2025
Frage: Was bedeutet für euch F*Antifa und wen oder was adressiert ihr mit eurer Kritik?
Fantifa Gruppen waren in den 1980er und 90er Jahren vor allem in Westdeutschland verbreitet. Danach gab es wenige Versuche der Kontaktaufnahme oder Zusammenarbeit mit ostdeutschen feministischen Antifas. Es ist also keine Tradition, in der wir uns sehen (können). Wie schön es ist ohne Männer organisert zu sein merken wir aber auf fast jedem gemischtgeschlechtlichen Bündnistreffen. Es fällt nicht nur viel Angeberei und Wiederholung weg (-hatte seine Vorrednerin das eben nicht genauso gesagt?-), sondern führt dazu die eigenen Kenntnisse und Fähigkeiten im Theoretischen und Praktischen weiterentwickeln zu können. Wir könnens empfehlen.
Da wir uns selbst nie unter dem F*Antifa Begriff gefasst haben, bedeutet er für uns als Gruppe recht wenig. Wie wir schon auf unserer Homepage schreiben, sind wir antideutsch und feministisch, israelsolidarisch und linksradikal, eine Antifa-Gruppe, die es seit über 25 Jahren gibt, und mehr l, b, t und q, als unser Name vermuten lässt.
Uns sind Argumente allerdings wichtiger als Label und Identitäten. Also lest unsere Texte, wenn ihr wirklich wissen wollt, wofür wir stehen. Wir diskutieren zum Beispiel über Kapitalismus und Geschlecht, materialistische Sprachkritik, gegen das postnazistische Deutschland und über die sexistische und antisemitische Linke. Auf dem Papier und auf der Straße.
Frage: Ist die kleinbürgerliche Familie noch immer die Keimzelle des Faschismus?
Eure Frage suggeriert, Familie war zumindest mal die Keimzelle des Faschismus. Ganz abgesehen von der Frage, auf welche Zeit und auf welchen Faschismus ihr euch bezieht, stellen wir diese These insgesamt in Frage. Mit dem Wissen, dass Max Horkheimer 1936 diesen Ausdruck geprägt hat, aber Ende der 1940er quasi selbst widerrufen hat und dann Familie als „Gegeninstanz gegen den Rückfall in die Barbarei“ bezeichnete. Keine Frage, Familie kann systemstabilisierend sein, egal auf welches System man sich gerade bezieht. Das ist eine Binsenweisheit, aber kein Argument für eure These.
Ohne den Antisemitismus, der nicht nur Jüdinnen und Juden aus der Volksgemeinschaft ausschließt, sondern die komplette Auslöschung aller jüdischen Menschen zum Ziel hat, ist Nationalsozialismus nicht vorstellbar. Ebenso wenig ohne den spezifischen Nationalismus oder die Idee einer weißen Herrenrasse, deren natürliches Recht es ist, über alle anderen zu herrschen. Diese Ideologien sind weder innerhalb der klein- noch der großbürgerlichen Familie geboren worden, auch wenn sie dort weitergegeben wurden und werden.
Wir versuchen so wenig wie möglich in Floskeln zu argumentieren, unserer Ansicht nach, können Gründe und Ursachen für Entstehung und Fortleben von faschistischen Ideen nicht auf einen Satz heruntergebrochen werden. Die Schuld kann sicherlich nicht auf die Existenz von bürgerlichen, heterosexuellen Familien geschoben werden. Genauso wenig wie das Kapital immer hinter dem Faschismus steht. Das Kapital steht zum Beispiel in Deutschland sehr gerne hinter den Labeln Diversität und Weltoffenheit. Selbstverständlich heißt das nicht, dass dies nicht auch mit Rassismus oder Antisemitismus einhergehen kann. Wenn wir eure These, die Familien sei die Keimzelle des Faschismus, ablehnen, heißt es auch nicht, dass sie es nicht sein kann. Wir leben in Sachsen. Wir sehen hier die Nazieltern, die ihre Teenies mit auf Nazidemos nehmen, wir erleben Kinder von Leuten, gegen die Antifas in den 1990ern gekämpft haben, die jetzt gegen Pride-Fahnen oder jede Art von zivilisatorischem Fortschritt ausrasten. Wir suchen die Schuld nicht in der generellen Existenz von Familien. Eine Idee, die ohnehin zu häufig dabei landet, Müttern die Schuld am Verfall von Gesellschaft zuzuschieben (zu wenig / zu viel Kümmern ums Kind, nicht genug häusliche Stabilität, zu viel Individualisierung etc pp).
Frage: In Berlin und Leipzig gab es 2024 zum 8. März Demonstrationen mit einem feministisch- universalistischem Anspruch. Wieso sollten wir Feminismus universalistisch denken?
Dass wir als Teil eines Zusammenschlusses linker Leipziger Gruppen zum emanzipatorischen 8. März eingeladen haben, hatte vor allem damit zu tun, dass wir nach dem 7. Oktober 2023 nicht unbeantwortet lassen wollten, dass sich autoritäre rote Gruppen als Teil des 8. März Bündnisses an der inhaltlichen und organisatorischen Gestaltung des Tages beteiligen konnten. Gruppen wie Zora oder Handala nutzten den 8. März, um wiederholt den Terror der Hamas zu verharmlosen und antisemitische Narrative zu verbreiten.
Für uns steht das im Widerspruch zu unserem Anspruch an den Feminismus als emanzipatorische politische Praxis und dem universellen Anspruch der Befreiung für Alle aus den Verhältnissen der Zurichtung. Wir meinen nicht einen bürgerlichen Universalismus, der immer nur partikular sein kann und sich zum Beispiel in der Form des Kapitalismus und des Patriarchats als Machtverhältnis festgeschreibt. Unsere feministische Gesellschaftskritik setzt an diesen bestehenden Verhältnissen an, die niemals Freiheit für alle, sondern nur für einige bedeuten. Dennoch ist im bürgerlichen Universalismus angelegt, was wir uns für eine Gesellschaft von Gleichen unter Gleichen in Verschiedenheit wünschen, in ihm aber nicht zur Geltung kommt: politische und moralische Prinzipien mit universaler Gültigkeit. Dieses Spannungsverhältnis ist innerhalb der Verhältnisse nicht aufzulösen, was aber nicht bedeutet, die Idee des Universalismus verwerfen zu müssen. Das ist für uns eine Position der Freiheit für alle, ohne z.B. Rücksicht auf Kultur oder Religion zu nehmen. Gerade in der feministischen Kritik der Verhältnisse liegt die Möglichkeit das als Universales verschleierte Partikulare aufzudecken, Ausschlüsse und Machtverhältnisse sichtbar zu machen und daraus solidarische Praxen zu entwickeln, die auf eine emanzipatorische Transformation der Gesellschaft für alle gerichtet sind.
Rote autoritäre Gruppen sind sowohl aufgrund ihrer hierarchischen dogmatischen Organisation, als auch wegen ihres aggressiven Antisemitismus und Befreiungsnationalismus keine Bündnispartner:innen für uns. Sie stehen weder für Emanzipation noch für eine befreite Gesellschaft für alle. Wo es nötig ist werden wir uns daher auch künftig mit anderen gegen die Vereinnahmung emanzipatorischer Kämpfe durch rote K-Gruppen stellen.
Frage: Wer kann bei euch mitmachen?
Wir sind keine offene Gruppe. Jede, die unsere Themen und Inhalte teilt und Interesse an einer verbindlichen Organisiserung hat, kann an uns herantreten. Wir schauen dann gemeinsam, ob es passt.
Frage: Die Antifa ist eine immer noch von männlichem Verhalten dominierte Welt, kann es Antifa ohne Macker[tum] geben?
So gerne man auch die Augen davor verschließen mag: Antifaschistische Bewegungen und Gruppen können nicht außerhalb der Gesellschaft gedacht werden. Das bedeutet, solange es patriarchale Herrschaftsverhältnisse gibt, wird es auch Macker in der Antifa geben. Auch wenn wir uns mit den strukturellen Gegebenheiten erstmal abfinden müssen, können wir in unserer alltäglichen politischen Praxis fordern, dass Mackertum rauszulassen. Wir schaffen es ja auch seit über 25 Jahren antifaschistisch organisiert zu sein gänzlich ohne Mackertum – zumindest ohne das von cis-Männern.
Doch sollten wir nicht, bevor wir uns fragen, ob es Antifa ohne Mackertum geben kann, darüber reden, was genau männliches Verhalten sein soll. Erinnert das hier an den Pranger gestellte „männliche“ Verhalten doch sehr an essentialistisch gedachte Eigenschaften, die cis-Männern zugeschrieben werden. Natürlich wünschen wir uns eine Antifa-Welt ohne Menschen, die zu allem eine Meinung aber wenig Ahnung haben. Aber wir wünschen uns Antifas, die das Wort ergreifen, ihre Meinung laut kundtun und nicht klein bei geben, die bei Demos in der ersten Reihe stehen und sich zutrauen, Redebeiträge zu halten. Auf jeden Fall freuen wir uns, wenn das immer mehr Frauen machen.
Frage: Ist es okay, mit den Macker-Boys auch mal ein Bier trinken zu gehen?
Auf keinen Fall. Sex: ja, Alkohol: nein!
Was ist eigentlich schlimmer? Der FEMEN – Feminismus von vor 10 Jahren oder der Insta- Slide-Feminismus von heute?
Wie wir feministische Aktionsformen bewerten ist eine Sache, Kritik könnten wir an beiden formulieren. Sie gegeneinander auszuspielen fänden wir aber antifeministisch.
Wer ist beim politischen Subjekt Frau (mit)gemeint?
Wenn wir von Frauen sprechen bzw. schreiben dann meinen wir alle, die sich als Frau definieren oder von der Gesellschaft als solche behandelt werden. Für uns ist es wichtig, das Subjekt Frau weiterhin als Analysekategorie zu verwenden, da unsere Gesellschaft bis heute vom strukturellen Patriarchat durchdrungen ist. Das heißt, selbst wenn wir davon ausgehen, dass das Denken in Geschlechtern überwunden werden kann, läuft die Diskriminierungslinie im strukturellen Patriarchat nach der Binarität Männer und Frauen. Obwohl es in den letzten Jahrhunderten und Jahrzehnten viele Verbesserungen für Frauen gab, bleibt die Geschlechterhierarchie zum Nachteil von Frauen bestehen. Es bleibt wichtig Benachteiligungen, strukturellen Sexismus und aucGewalt gegen Frauen zu benennen und in ihrer historischen Genese aufzuzeigen.
Frauen, Lesben, inter, trans und agender Personen, wie es oft geschieht, einfach unter dem Akronym FLINTA zu subsumieren, ist oft nicht sinnvoll, da alle Personengruppen unterschiedlich diskriminiert werden. Je nach Kontext oder worüber man spricht, ist es also wichtig, genau zu benennen, ob es sich um Diskriminierung von Frauen oder z.B. von trans Personen handelt.
Seid ihr die Omas gegen Antifemismus?
Schlaue Postionen hängen nicht am Alter, weder der Individuen noch der Gruppe. Ansonsten verstehen wir die Frage nicht.
ZURÜCK ZUM HAUPTWIDERSPRUCH!? WARUM WIR DIE FEMINSITISCHE ORGANISATIONSFRAGE WIEDER STELLEN MÜSSEN
Podiumsdiskussion
18 Uhr, 24.11.2024
Dem Kuriositätenschrank linker Bewegungsgeschichte entsteigen seit einigen Jahren vermehrt leninistische Kadergruppen mit stalinistischer, maoistischer oder trotzkistischer Ausprägung. Was uns an ihnen stört, ist zweierlei: zum einen die autoritäre Organisierungsweise dieser Gruppen, mit der in den letzten Jahren zahlreiche feministische Gedenkanlässe und Bündnisse gekapert wurden. In direktem Zusammenhang damit steht eine verkürzte Herrschaftskritik, die nur die Einheit der Ausgebeuteten und Kolonisierten sehen will. Daran knüpft sich unser zweiter Kritikpunkt: die antisemitische Palästina-Solidarität, die die K-Gruppen seit dem 7. Oktober 2023 offen zur Schau stellen. Zwar bespielen Zora, Frauenkollektiv, Young Struggle, Pride Rebellion usw. so gut wie alle hot topics der Linken. Am feministischen Kampftag und am Internationen Tag gegen Gewalt an Frauen tragen sie aber v.a. ihre Solidarität mit der islamistischen palästinensischen Nationalbewegung auf die Straße, die extrem frauen- und LGBTI-feindlich ist.
Darüber wollen wir gemeinsam sprechen. Auf dem Podium kommen Vertreter*innen feministischer Leipziger Gruppen zu Wort, die von unbehaglichen Begegnungen, Übernahmeversuchen und anderen Auseinandersetzungen berichten. Inwieweit sind die queerpolitischen und feministischen Anliegen der K-Gruppen ernst zu nehmen? Warum zieht es junge Linke heute eher in autoritäre als in undogmatische Strukturen? Was haben wir als antisemitismus- und autoritarismuskritische Feminist*innen ihnen entgegenzusetzen? Was ist unsere Vorstellung davon – bei allen Differenzen untereinander –, die patriarchalen und antifeministischen Verhältnisse zu bekämpfen?
Eine Veranstaltung der Vernetzung Emanzipatorischer 8. März.
ACHTUNG: Bitte kommt nicht, wenn ihr Erkältungssymptome habt. Testet euch wenn möglich und tragt bitte Maske. Wir haben auch welche am Einlass.
Frauen als Täterinnen im Nationalsozialismus und die Frauenforschung Die Hälfte der Schuld den Frauen!
Umgang mit dem Thema Frauen und Nationalsozialismus innerhalb der Frauenforschung
2007
Die allgemeine Geschichtsforschung kümmerte sich nach 1945 wenig um den Themenkomplex Frauen und ihre Rolle während des Nationalsozialismus. Lediglich die Trümmerfrauen wurden als Symbol für die Bereitschaft der Menschen in Deutschland, ihr Land wiederaufzubauen, überhöht dargestellt. Erst die Frauenforschung, ein Kind der 2. Frauenbewegung, nahm sich seit Anfang der 70er Jahre des Themas an. Wie bei allen Forschungsrichtungen, die ihren Ursprung in einer sozialen Bewegung haben, sind auch in der Frauenforschung die Forschungsthemen und die Frage, wonach im historischen Prozess gesucht werden soll, geprägt durch die Ziele und Vorstellungen der Akteurinnen der 2. Frauenbewegung. Die Perspektiven, aus denen sich die Frauenforschung dem Thema genähert hat, sind sehr unterschiedlich, dennoch wird jede durch das große Dilemma der Frauenforschung bestimmt: Ergebnisse erzielen „zu müssen“, die als positive Identifikationsgrundlage für die Frauen in der Gesellschaft und besonders in der Frauenbewegung gelten können. Also trat eine identifikationsstiftende Perspektive sehr stark in den Vordergrund und auch die Geschichte der Frauen im deutschen Faschismus wurde in erster Linie auf dieser Basis(1)untersucht. Um einen positiven Bezug zu ermöglichen, wurde zum einen die angeblich besondere Nähe der Frauen zum Frieden und zur Gewaltlosigkeit hervorgehoben und zum anderen der Forschungsschwerpunkt auf Widerstandskämpferinnen gelegt, außen vor blieb dabei die Schuld von Frauen im Nationalsozialismus. Eine weitere Richtung, die der identifikationsstiftenden Perspektive sehr nahe ist, lässt sich in Studien finden, die Frauen im Nationalsozialismus vorrangig unter dem Aspekt der Opferrolle untersuchen. Indem Frauen in erster Linie als Opfer der patriarchialen und frauenfeindlichen nationalsozialistischen Geschlechterpolitik gesehen werden, werden Täterinnen zu Opfern gemacht. Sie seien der Unterdrückung und Herrschaft der männlichen Nationalsozialisten ausgesetzt und daher gar nicht in der Lage gewesen, sich gegen den Nationalsozialismus zur Wehr zu setzen. Das Hauptforschungsinteresse wurde auf die Analyse des nationalsozialistischen Frauenleitbildes gesetzt, wodurch das reale Alltagsleben und Verhalten der arischen Frauen ausgeblendet wurde, ebenso wie die Lebensbedingungen von
„minderwertigen“ Frauen, wie Jüdinnen, Sinti und Roma, Lesben, psychisch Kranken, „Asozialen“ u.a. Am extremsten vertritt Gisela Bock(2) die Opferperspektive, indem sie soweit geht, die Zwangssterilisationen, die an Frauen durchgeführt wurden, mit dem Genozid an den Jüdinnen und Juden zu vergleichen. Ihre Studie eröffnete zwar eine wichtige Debatte über den Zusammenhang von Sexismus und Rassismus, indem sie deutlich machte, dass die nationalsozialistische Geburtenpolitik unter der Prämisse der „Aufartung der Rasse“ durchgeführt wurde und somit gleichzeitig ein männlicher Idealtyp glorifiziert wurde. Es zeigt sich jedoch auch, dass Bock versucht Frauen im Nationalsozialismus ein „Mehr“ an Opferstatus zuzuschreiben, indem sie versucht, Frauen und Jüdinnen und Juden als Opfer gedanklich zusammenzubringen. So bezeichnet sie die Tatsache, dass viele Frauen bei Zwangssterilisationen starben, als geplanten und bewussten Massenmord.(3) Mitte der 80er Jahre setzte sich innerhalb der Frauenforschung der Begriff der Mittäterinnenschaft(4)als konsensfähig durch: Während Männer die Vorherrschaft im Dritten Reich besaßen, haben Frauen lediglich ihre Verantwortung an sie delegiert. Die Frau könne also als nicht schuldig gelten, nicht zur Täterin werden, da ihre Schuld „nur“ in der Selbstaufgabe zugunsten des Mannes zu suchen sei. Eine Mittäterinnenschaft wird anerkannt in der Rolle der treusorgenden, unterstützenden Gattin und Hausfrau eines Täters. Der Begriff der Mittäterinnenschaft wird hier als analytischer Arbeitsbegriff verstanden, mit dessen Hilfe den unterschiedlichen Rahmenbedingungen der Taten von Frauen und Männern Rechnung getragen werden soll. Als eine Verschmelzung der Opfer- und Mittäterinnenperspektive kann der Ansatz der bekannten Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich gelten.(5)Diese spricht von männlichem und weiblichem Antisemitismus, die durch die unterschiedlichen Über-Ich- Dispositionen der Geschlechter geprägt werden: Männer werden aufgrund von Kastrationsangst zu Antisemiten, Frauen hingegen fürchten den Liebesentzug ihrer Umwelt, was sie zu einer Anpassung an männliche Vorurteile bringt. Die unterschiedlichen Perspektiven machen deutlich, dass die beteiligten Historikerinnen stets nach der Prämisse arbeiteten, nicht das individuelle Verhalten zu analysieren, sondern auf der Geschlechterebene zu argumentieren. Dieser Anspruch und die Einbettung in eine neue soziale Bewegung führten jedoch auch dazu, dass die Frauenforschung bei der Frage, ob Frauen als Täterinnen gelten können, stehen blieb und nicht erörterte, wo Frauen sich schuldig machten. Dieser Umstand führte zu heftigen Debatten(6) innerhalb der historischen Frauenforschung. Es kam zu schweren Vorwürfen und zur Kritik, sich nicht ausreichend mit der Schuld und Verantwortung der Frauen im Nationalsozialismus auseinandergesetzt zu haben. Der Begriff
„Täterin“ wurde als zu vereinfachend, der sozialen und historischen Situation der Frauen im Nationalsozialismus nicht gerecht werdend, abgelehnt. Demgegenüber stehen Autorinnen, die sich in erster Linie als Sozialhistorikerinnen verstehen und aufzeigen möchten, in welchen gesellschaftlichen Bereichen und wie Frauen im Nationalsozialismus die Möglichkeiten hatten, als Täterinnen aktiv zu werden. Einige dieser Täterinnengruppen sollen im folgenden vorgestellt werden.
Täterinnengruppen
Vorangestellt sei die Gruppe von Frauen um Pia Sophie Rogge-Börner(7), da sie eine Sonderrolle innerhalb der Täterinnengruppen einnehmen. Sie waren antisemitische Theoretikerinnen, deren national-feministische Forderungen so gar nicht dem nationalsozialistischen Frauenbild entsprachen, weshalb sie auch keine Unterstützung von den Nazis bekamen. Rogge-Börner war von 1933-1937 Herausgeberin der Zeitschrift „Die deutsche Kämpferin. Stimmen zur Gestaltung der wahrhaftigen Volksgemeinschaft“. Dort wurde eine krude Mischung aus national-feministischen Forderungen und populärwissenschaftlichen Ansichten über die Überlegenheit der nordischen Rasse vertreten. 1933 verfassten die völkisch- nationalen Feministinnen die Denkschrift „Deutsche Frauen an Adolf Hitler“. Darin forderten sie, dass sich die „besten deutschen Frauen und Männer“ die Führung der Nation teilen sollen, um gemeinsam und partnerschaftlich den „Kampf gegen die fremdrassigen Völker“ zu führen. 1937 wurde die Zeitschrift von der Gestapo verboten, da die darin erschienen Artikel von der Auslands- und Emigrantenpresse als „Hetzartikel“ gegen das nationalsozialistische Deutschland ausgewertet wurden. Das letzte Buch von Rogge-Börner erschien 1951 bei einem Göttinger Verlag.(8) Viele Täterinnengruppen finden sich in den Bereichen der „natur- und artgemäßen“ Frauenberufe. So waren es vor allem Fürsorgerinnen(9), die die sozialrassistisch begründeten tödlichen Ausgrenzungsmechanismen in der nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik in die Tat umsetzten. Sie sammelten personenspezifische Daten, die als Grundlage zur Entscheidung verwendet wurden, wer als „rassisch wertvoll“ und als unterstützungswürdig galt. Durch den persönlichen Kontakt mit den betroffenen Familien konnten die Fürsorgerinnen die Hauptziele ihrer Arbeit, die in erster Linie aus Selektion und „Rassenhygiene“ bestand, besonders gut erfüllen und die Vernichtungsideologie praktisch umsetzen. Sie registrierten „erbbiologisch minderwertige“ Personen und bestimmten so, wer nicht das Recht haben sollte, sich fortzupflanzen, und zwangssterilisiert wurde.
Ähnlich unterstützend verhielten sich Krankenschwestern bei der Umsetzung der „Aktion T4“: Ab 1942 wurden Tötungsklinken eingerichtet, in denen die Ermordung von psychisch Kranken durchgeführt wurde.(10)Offiziell wurden die Betroffenen in sogenannten Heil- und Pflegeanstalten untergebracht. Dort legten MedizinerInnen fest, wer unheilbar sei. Die Durchführung der Tötung gehörte zu den Aufgaben des Pflegepersonals, wobei man die Kranken entweder systematisch verhungern ließ oder sie durch die Injektion von Gift ermordete. Allein in der „Pflege- und Heilanstalt“ Meseritz-Obrawalde wurden so von 1942- 1945 mindestens 10.000 PatientInnen getötet. Auch der klassische Frauenberuf der Sekretärin bot Möglichkeiten, zur „Schreibtischtäterin“ zu werden. So waren Beamtinnen an der Transformation von antisemitischer und rassistischer Ideologie in verwaltbare Vorgänge beteiligt. Wie beispielsweise bei der Berliner Vermögensverwertungsstelle(11), in der die Deportation der jüdischen Bevölkerung in Berlin organisiert wurde. Von der Vermögensfeststellung der MieterInnen bis zur „Arisierung“ ihrer Wohnungen gab es zahlreiche Möglichkeiten „mitzuhelfen“. So fertigten beispielsweise weibliche Angestellte der Berliner Elektrizitätsbetriebe regelmäßig Listen der StromabnehmerInnen mit jüdischen und jüdisch klingenden Namen an. Auch rund um Deportationen von ehemaligen NachbarInnen ergaben sich verschiedene Möglichkeiten zu profitieren, sei es als Hausbesitzerin, Gebrauchtwarenhändlerin, Versteigerin oder „Schnäppchenjägerin“.
Auch die SS bot vielen Frauen einen Rahmen, in dem sie tätig werden konnten. Ab 1938 wurden im Frauenlager Lichtenburg zum ersten Mal SS-Aufseherinnen eingesetzt.(12) Die steigende Anzahl von weiblichen Häftlingen machte den Einsatz von Aufseherinnen nötig. In den Frauenlagern innerhalb der Konzentrationslager gab es ein Trennung in eine innere und äußere Bewachung. Die innere, direkte Bewachung der Häftlingsfrauen war die Aufgabe der Aufseherinnen, wohingegen die äußere Bewachung der SS oblag. Die Ausbildung zur SS- Aufseherin erfolgte bis 1944 im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück, wobei rücksichtsloses, gewalttätiges und bedingungslos gehorsames V erhalten die besten Aufstiegschancen garantierten. In den Todeslagern Belzec, Kulmhof, Sobibor und Treblinka gab es keine Aufseherinnen, wohl aber in Lagern, die sowohl Vernichtungs- als auch Konzentrationslager waren, wie Auschwitz-Birkenau und Lublin-Majdanek: Insgesamt waren 10% des Wachpersonals weiblich. Rechtlich waren sie Angestellte der SS. Frauen konnten sogar Mitglied der SS werden.(13)1942 wurde das weibliche Nachrichtenkorps der SS gegründet. Auf einer SS-Schule im Elsass wurde die neue weibliche Nazi-Elite ausgebildet. Strenge Bewerbungsanforderungen sollten garantieren, dass nur die
Besten die Möglichkeit bekamen, zur SS zu gehören. Die Frauen wurden unter anderem zu Funkerinnen, Fernschreiberinnen, Stabshelferinnen, Mechanikerinnen und Krankenhelferinnen ausgebildet. Sie wurden zum Kriegsdienst in den annektierten Gebieten und in SS- Polizeiregimenten eingesetzt. Bei der Waffen-SS bedienten sie die Fernsprech-, Fernschreib- und Funkanlagen. Gegen Kriegsende gab es 10.000 Frauen im weiblichen SS-Korps. Eine weitere Täterinnengruppe im Umfeld der SS waren die Ehefrauen(14) der in KZs eingesetzten SS-Männer. Oft folgten sie ihren Gatten an deren Arbeitsplätze und wohnten mit den Kindern neben den Konzentrationslagern. Häufig hatten sie KZ-Häftlinge als Hauspersonal und Dienstmädchen aus den besetzten Gebieten. Sie forcierten die Lagerkorruption, indem sie sich aus den Vorratskammern der Lager und aus dem enteigneten Besitz der Häftlinge bedienten. Nicht selten stammten große Teile der Wohnungseinrichtung und der Garderobe der gnädigen Frau aus solchen Quellen. Aber die treusorgenden Ehefrauen wurden auch selbst tätig, indem sie Häftlinge denunzierten und beschuldigten und Bestrafungen provozierten. Elisabeth Willhaus erschoss vom Balkon aus Häftlinge im KZ Lemberg(15) und Lina Heydrich ließ ihren verletzten Sohn sterben, weil sie die Hilfe eines jüdischen Häftlings nicht annehmen wollte.(16)
Der Nationalsozialismus in Deutschland war zweifelsohne männlich geprägt. So findet sich bis auf Reichsfrauenführerin Gertrude Scholz-Klink in der NS-Führungselite keine Frau, weshalb auch keine unter den wichtigsten Kriegsverbrechern bzw. Verbrechern gegen die Menschlichkeit zu finden ist. Trotz der extrem patriarchalen Gesellschaftsstrukturen, die während des Nationalsozialismus herrschten, hatten Frauen die Möglichkeit, zur Täterin zu werden, und sie haben diese auch in vielfältiger Weise genutzt. Sei es als Täterin mit einem „spezifisch weiblichen“ Aufgabengebiet, wie Krankenschwestern und Sozialarbeiterinnen, oder mit einem Tatprofil, das dem der Männer entsprach, wie beispielsweise die SS- Aufseherinnen in KZs. Die hier dargestellten Täterinnengruppen wurden gewählt, um aufzuzeigen, dass zum einen „ganz normale Frauen“ Täterinnen waren und sind, und zum anderen, wie breit die „Wirkungsfelder“ der Täterinnen waren. Trotzdem hätte die Darstellung durch die Berufsgruppen der Ärztinnen und Lehrerinnen und prominente Nazi-Frauen wie Magda Goebbels ergänzt werden können. Die Fülle an Beispielen für eine weibliche Täterschaft während des Nationalsozialismus macht deutlich, dass die Frauenforschung auf diesem Gebiet noch Defizite hat. Anstatt die Erforschung der Täterinnengruppen anzustoßen und voranzutreiben, konzentrierte sich Frauenforschung lange darauf, Erklärungen und Entschuldigungen zu finden, die das V erhalten von Frauen im NS entschuldigten.
AFBL
Fußnoten
- Beispiele hierfür sind: Szepansky, Gerda (1986): Blitzmädel, Heldenmutter, Kriegerwitwe. Dies. (1983): Frauen leisten Widerstand. Kuhn, Anette/Rothe, Valentine (1982): Frauen im deutschen Faschismus.
- Bock, Gisela (1986): Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Studien zur Rassenpolitik und Frauenpolitik.
- Windaus-Walser, Karin (1988): Gnade der weiblichen Geburt? Zum Umgang der Frauenforschung mit Nationalsozialismus und Antisemitismus. In: Feministische Studien, 6. Jh., Nr. 1, S. 102-115.
- Thümer-Rohr, Christina (1987): Das theoretische Konzept der Mittäterinnenschaft. Koonz, Claudia (1991): Mütter im Vaterland. Frauen im 3. Reich.
- Mitscherlich, Margarete (1985): Antisemitismus – eine Männerkrankheit? In: Dies. Die friedfertige Frau, S. 148-160.
- vgl. Reese, Dagmar/Sachse, Carola (1991): Frauenforschung zum Nationalsozialismus. Eine Bilanz, in: Gravenhorst, Lerke/Tatschmurat, Carmen (Hrsg.): Töchter-Fragen. NS-Frauengeschichte. Dies. (1992): Frauen im Nationalsozialismus: Opfer oder Täterinnen? Zu einer aktuellen Auseinandersetzung in der Frauenforschung zum Nationalsozialismus, in: Berg, Christa/Ellger- Rüttgard, Sieglind (Hrsg.): „Du bist nichts, Dein Volk ist alles.“ Forschungen zum Verhältnis zwischen Pädagogik und NS. Schomburg, Petra (1996): Frauen im Nationalsozialismus. Ein Überblick über die historische Frauenforschung und die feministische Diskussion um Verantwortung und Beteiligung von Frauen am Nationalsozialismus, in: Niethammer, Ortrun (Hrsg.): Frauen und Nationalsozialismus. Historische und kulturgeschichtliche Positionen. Windaus-Walser, Karin (1988): Gnade der weiblichen Geburt? Zum Umgang der Frauenforschung mit Nationalsozialismus und Antisemitismus, in: Feministische Studien 6, Nr. 2, S. 102-115. Frauen gegen Antisemitismus (1993): Der Nationalsozialismus als Extremform des Patriarchats. Zur Leugnung der Täterschaft von Frauen und zur Tabuisierung des Antisemitismus in der Auseinandersetzung mit dem NS, in: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis, Heft 35, 16. Jh., S. 77-89.
- Crips, Liliane (1990): „National-feministische“ Utopien. Sophie Rogge-Börner und die „Die deutsche Kämpferin“ 1933-1937, in: Femistische Studien, Nr. 1, 8. Jh., S. 128-137.
- Rogge-Börner, Sophie Pia (1951): Planet im Absturz? Darin bewertet sie den Genozid von Millionen von jüdischen Menschen, als Ergebnis eines „langen, schuldhaften Irrweges, der auf die Vermännerung der Menschheit zurückzuführen sei“ (Heinsohn, Kirsten/Vogel, Barbara/Weckel, Ulrike (Hrsg.) (1997): Zwischen Karriere und Verfolgung. Handlungsspielräume von Frauen im nationalsozialistischen Deutschland, S. 56. Kein Wort, das auf ein Bewusstsein für Schuld oder Verantwortung schließen lässt. In ihrem Alterswerk wandelte sich der nordisch-jüdische Rassengegensatz in einen europäisch-asiatischen Rassengegensatz. Rögge-Börner ist 1955 in Düsseldorf gestorben.
- Ebbinghaus, Angelika (Hrsg.) (1997): Opfer und Täterinnen. Frauenbiografien des Nationalsozialismus, 2. Aufl.
- Ebbinghaus, Angelika (1987): Opfer und Täterinnen. Frauenbiografien des Nationalsozialismus, 1. Aufl.
- Scheiger, Brigitte (1992): „Ich bitte um baldige Arisierung der Wohnung…“ Zur Funktion von Frauen im bürokratischen System der Verfolgung, in: Wobbe, Theresa (Hrsg.): Nach Osten. Verdeckte Spuren nationalsozialistischer Verbrechen, S. 175-196.
- Taake, Claudia (1998): Angeklagt: SS-Frauen vor Gericht.
- Schwarz, Gudrun (1992): Verdrängte Täterinnen. Frauen im Apparat der SS (1939-1945), in: Wobbe, Theresa (Hrsg.): Nach Osten. Verdeckte Spuren nationalsozialistischer Verbrechen, S. 175- 196.
- Schwarz, Gudrun (1997): Die Frau an seiner Seite. Die Ehefrauen der SS-Sippengemeinschaft.
- Ehefrau von Gustav Willhaus dem Lagerkommandanten des KZ Lemberg. Sie wurde nie verurteilt, da die Klage aufgrund von Mangel an Beweisen eingestellt wurde.
- Frau von Reinhard Heydrich, dem stellvertretenden Reichsprotektor für Böhmen und Mähren. Leitete die „Aktion Reinhard“, die auf die Vernichtung der polnischen Jüdinnen und Juden abzielte. Wurde 1942 bei einem Attentat von tschechischen WiderstandskämpferInnen getötet. Lina Heydrich betrieb nach 1945 eine Kneipe auf Fehmarn, die unter ehemaligen SS-Männern als beliebter Treffpunkt galt.