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antifaschistischer frauenblock leipzig

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WARUM WIR VON EINER ÜBERWACHUNGSGESELLSCHAFT SPRECHEN

Redebeitrag der Demovorbereitungs-Kooperation von AFBL (Antifaschistischer Frauenblock Leipzig) und BgR (Bündnis gegen Rechts)

2007

Die heutige Demonstration führt an einer Vielzahl von Orten vorbei, die beispielhaft sind für ein Phänomen, welches sich wohl am besten im Begriff der Überwachungsgesellschaft wiederfindet. Drei Minuten von hier befindet sich der Leipziger Hauptbahnhof, dessen Management die Bilder von über hundert privaten Kameras dem BGS bei seiner Jagd auf MigrantInnen zur Verfügung stellt. Private wie kommunale Kameras werden uns auf dem gesamten Weg durch die City begleiten. Die Zweckentfremdung des öffentlichen Raums zur privatisierten Konsummeile wie hier in der Innenstadt zeigte sich am Versuch des Ordnungsamtes, die heutige Demonstration in die Peripherie abzudrängen. Schlußendlich wird die Kamera am Denkmal des Antisemiten und ehemaligen Leipziger Bürgermeisters Carl Friedrich Goerdeler wunderschöne Aufnahmen dieser Demonstration liefern. Wir alle sind in den letzten Jahren ZeugInnen eines Prozesses geworden, der sich anschickt, die letzten Rückstände gesellschaftlich wirksamen Widerstandes unmöglich zu machen. Diesen Prozess hat die Linke mit ihrer alleinigen Politik gegen den Überwachungsstaat verschlafen. Sie hat nicht erkannt, daß die Träume des Überwachungsstaates längst durch die Überwachungsgesellschaft verwirklicht werden. Widerstand gegen einzelne Ausformungen dieses komplexen Phänomens wird immer erfolglos bleiben, wenn er nicht in eine gesamtgesellschaftliche Analyse eingebettet ist. Greifen nicht alle Kampagnen gegen Repression zu kurz, wenn durch die Normierungseffekte der neuen Sicherheitstechniken wie Kameras oder Chipkartensysteme Widerstand unmöglich gemacht werden soll? Was nützt das alleinige Feindbild Polizei, wenn es längst private Sicherheitsdienste sind, die Bahnhöfe und Einkaufspassagen sicher und sauber halten und jeder KonsumentInnengruppe ihren Platz zuweisen? Natürlich gönnt die Security dem Penner sein Bier am Imbiß, solange er den Teenies ihr Shoppen bei H&M nicht versaut oder den gestressten Geschäftsleuten ihr zweites Frühstück bei Mövenpick. Schließlich muß alles innerhalb der kapitalistischen Logik verwertet werden. Nichts bietet sich also mehr an als der gläserne Mensch, dessen Wünsche, Sorgen und Interessen bekannt sind und der auf diese Art und Weise optimal mit Produkten versorgt werden kann. Die Interessen von KonsumentInnen und Ökonomie treffen sich da, wo KundInnenkarten bequemes und billiges Einkaufen versprechen. Die Industrie wird glücklicher, braucht sie sich doch kaum noch Sorgen über das eventuelle Scheitern eines Produktes am Markt zu machen und die KonsumentInnen bekommen endlich das, was sie immer schon haben wollten. Närrinnen und Narren sind die, welche glauben, daß ihre Daten auch gegen sie
verwandt werden könnten. Schließlich wird Repression, Kontrolle und Überwachung nur die treffen, die etwas zu verbergen haben. So zumindest die landläufige Meinung der Bevölkerung. Deren wahnhaftes Interesse an Sicherheit verstärkt zum einen die Ausgrenzung von konstruierten Randgruppen, zum anderem macht das weitverbreitete Blockwartsdenken auch vor der Haustür des Nachbarn oder der Nachbarin nicht halt. Mit der Benennung eines solchen komplexen Geflechts von Verantwortlichkeiten wollen wir aber nicht sagen, daß Widerstand unmöglich wird. Zwar gibt es keinen Hauptschuldigen, der sich für die gegenwärtige Entwicklung ausmachen läßt, doch braucht es einen solchen auch überhaupt nicht, um mit politischem Widerstand zu beginnen. Die lokalisierten Orte von Macht und Herrschaft bieten genügend Zielfläche, um dagegen anzugehen. Sei es der Widerstand gegen die Residenzpflicht von MigrantInnen oder eine Antirepressionskampagne, die den Staat nicht verklärt. Seien es Aktionen gegen Bürgerinitiativen für mehr Sicherheit und Ordnung oder gegen die Privatisierung öffentlicher Räume. Wenn wir uns die gesellschaftlichen Verhältnisse bewußt machen und nicht nur gegen einzelne Phänomene vorgehen, gibt es keinen Grund, mit dem Widerstand zu warten.

Organisiert den Widerstand! Der Kapitalismus ist nicht das Ende der Geschichte! Für eine herrschaftsfreie, emanzipatorische Gesellschaft! Es liegt an uns, zu zeigen, daß die Politik von Überwachungswahn und Sicherheitshysterie angreifbar ist!

 

IHR SEID NICHT VERGESSEN!

Eine Ausstellung und mehr

2007

Gedenken und Erinnern in Deutschland

In der Ausstellung „Ihr seid nicht vergessen!“ wird die vergessene Geschichte des Mädchen- Konzentrationslagers und der dort inhaftierten Mädchen und Frauen dargestellt. Der AFBL zeigt die Ausstellung vom 01. bis 18. Oktober im Brühl 74, sie wird jeweils Dienstag, Mittwoch und Samstag von 15-20:00 Uhr geöffnet haben.

Das KZ Uckermark wurde offiziell euphemistisch als „Jugendschutzlager“ bezeichnet, in ihm wurden zunächst Mädchen inhaftiert, die von Fürsorgebehörden als asozial, kriminell oder verwahrlost kategorisiert und somit als Gefahr für die deutsche Volksgemeinschaft gesehen wurden. Um die Ausstellung in einen sinnvollen Kontext zu setzen, erweiterten wir die Auseinandersetzung um die angrenzenden Themen: Erinnerungspolitik, faschistische Fürsorge- und Sozialpolitik und ihre Kontinuitäten in der BRD und DDR, die Rolle der Frauen im Nationalsozialismus und die Geschichte Leipzigs während des NS. Die Sozialpolitik sah in den ‚Jugendschutzlagern’ „die ‚kostengünstige’ und ‚sichere Verwahrung’ unter Ausnutzung der Arbeitskraft“(1) Im Nationalsozialismus bedeutete das Folter und willkürliche Vernichtung für die inhaftierten Mädchen. Der Grundgedanke der damaligen Jugendpolitik war, eine homogene Volksgemeinschaft zu schaffen, in der vermeintlich kriminelle oder asoziale Jugendliche in Fürsorgeeinrichtungen isoliert werden. Dieser setzte sich in Teilen in der Sozialpolitik der BRD, z.B. dem Bewahrungsgesetz, und der DDR, in Form der Jugendwerkshöfe, fort.Im Hinblick auf die Rolle der Frauen im Nationalsozialismus geht es uns um das propagierte Frauenbild, die konkrete Beteiligung am Nationalsozialismus und den Umgang mit den Täterinnen nach ‘45 in der Gesellschaft und in der (Frauen-)Forschung.In Leipzig hatte die HASAG, einer der größten Rüstungsbetriebe im NS, ihren Hauptsitz. Neben Siemens und IG Farben war die HASAG der Konzern mit der höchsten Anzahl an ZwangsarbeiterInnen. Ab 1942/43 wurden in den Unternehmen oder in unmittelbarer Nähe KZ-Außenlager errichtet. Das HASAG-Lager in Leipzig war eines von insgesamt 27 Außenkommandos für Frauen des KZ-Buchenwald.

Im Rahmen der Ausstellung werden wir zu den Themen KZ Uckermark, Sozialpolitik, HASAG in Leipzig und Rolle der Frauen im NS Texte veröffentlichen.

Funktionalisierungen von Gedenken

Es ist notwendig, die Geschichte der Opfer des NS-Genozids zu erzählen und in Erinnerung zu halten. Erinnern soll hier nicht heißen, abgeschlossene Geschichte zu betrachten, sondern soll die Kontinuitäten der NS-Ideologie aufzeigen, und der Erinnerungsdiskurs in Deutschland muss dabei einbezogen werden. Andernfalls lässt sich eine solche Ausstellung leicht als eine ‚PR für Deutschland’ instrumentalisieren, wie die neue ‚Wehrmachtsausstellung’, die zeigen soll, wie sehr Deutschland gewillt ist, sich mit den historischen Fakten auseinander zu setzen. Nach ihrer Überarbeitung eignet sie sich besonders gut zur Schuldtilgung, weil nun nicht mehr die Kollektivschuld der Wehrmacht im Mittelpunkt steht, sondern die Verantwortung für Verbrechen individualisiert betrachtet wird, speziell wegen des zugefügten Teiles ‚Handlungsspielräume’, in dem vermeintlich faire Wehrmachtssoldaten porträtiert werden. Zentral für diese andere Interpretation des Vernichtungskriegs ist eine „Entideologisierung der Geschichte“.(2)Voraussetzung für die Individualisierung der Schuld ist eine Historisierung des Holocausts, das heißt geschichtliche Ereignisse „neutral“ aus ihrer Zeit heraus zu betrachten und eine Distanz zum untersuchten Gegenstand herzustellen.(3) Erst diese Distanz und damit einhergehend eine Relativierung und somit Verharmlosung der Schuld der Deutschen ermöglichen die Forderung eines Schlussstrichs unter die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Seit dem Historikerstreit Mitte der 80er Jahre gilt in der konservativen Geschichtsschreibung der kategorische Imperativ: Wer von nationalsozialistischen/deutschen Verbrechen reden will, darf von den ‚bolschewistischen Gräueltaten’ nicht schweigen. Dieser Relativierung durch Aufrechnung wurde spätestens seit der Machtübernahme der 68er eine andere Form der Bagatellisierung deutscher Schuld hinzugefügt. Mit der Verantwortung, die sich aus der Geschichte ergibt, wird die deutsche Beteiligung an internationalen Kriegseinsätzen gerechtfertigt.(4) Das Vokabular in der politischen und öffentlichen Debatte impliziert eine Analogie zur Shoah, im Kosovo wurde von serbischen KZs gesprochen, wahlweise werden Saddam Hussein, Osama bin Laden und Bush Ähnlichkeiten mit Hitler zugeschrieben. Einerseits soll der deutsche Faschismus als abgeschlossen gelten und die „Moralkeule Auschwitz“ im Keller bleiben, andererseits dient er als Rechtfertigung für erneutes deutsches Großmachtsstreben. Beide Richtungen stellen durch leichtfertige Vergleiche die Singularität der Shoah in Frage und klammern den antisemitischen Vernichtungswahn des völkischen Kollektivs und die kalte Vernichtungsbürokratie aus. In Abgrenzung zur Schlussstrichdebatte, Historisierung und Rechtfertigungen politischer Entscheidungen mit Auschwitz setzt ein radikaler linker Ansatz die deutschen Verbrechen und die ideologischen Kontinuitäten ins Zentrum der Auseinandersetzung und gedenkt der Opfer des Nationalsozialismus.(5)

Erinnern auf gut deutsch

„Repräsentationen von Geschichte stehen in einem Land, von dessen Wunsch nach Verdrängung man weiß, gleichsam immer schon unter Verdacht.“(6) In Deutschland wird versucht, jede Form von Gedenken für ein nationales Selbstbewusstsein zu vereinnahmen. Das gilt nicht nur für jene, die einen Schlussstrich ziehen wollen, sondern ebenfalls für die, die deutsche Verbrechen anerkennen. Beide Gruppen agieren aus einem nationalen Interesse heraus, das darin besteht, Deutschland zukunftsorientiert mit seiner eigenen Geschichte zu versöhnen. Durchgesetzt hat sich ein verallgemeinerndes Gedenken, in dem Unterschiede zwischen TäterInnen und Opfern eingeebnet werden. Inzwischen zählen sich eigentlich alle zu den Opfern. Eine Identifikation wird möglich, wenn das TäterInnenkollektiv ausgeblendet wird und die deutsche Bevölkerung sich als unschuldig und unwissend oder unterdrückt und machtlos stilisieren kann. Nachdem Auschwitz grundsätzlich anerkannt ist, wird gerade in letzter Zeit das Leiden der Deutschen in und nach dem Krieg verstärkt thematisiert. Während früher nur Stimmen aus dem rechten Lager eine Anerkennung des Unrechts gegen „Vertriebene“ forderten, ist sie heute gesellschaftlicher Konsens geworden. Dank Grass, Spiegel und Guido Knopp können jetzt bedenkenlos dramatische Fluchtgeschichten über die unrechtmäßige Vertreibung erzählt werden. Außerdem werden die „Entbehrungen und Schmerzen“ ausgerechnet der Deutschen während des Krieges diskutiert; Stalingrad ist

lediglich Anlass, die bewegendsten Feldpostbriefe vorzulesen, und in Dresden versammelt sich der Mob, um die Opfer und Ruinen des Alliiertenangriffs zu betrauern. Die Betonung des Schreckens nivelliert den Unterschied zwischen TäterInnen und Opfern und macht die Schuldfrage überflüssig. So soll auch bei dem Berliner Mahnmal eine innere Unsicherheit entstehen, die es allen BesucherInnen ermöglicht, die Leiden der Inhaftierten nachzuempfinden und sich mit ihnen zu identifizieren.(7) Es scheint vollbracht, was alle VertreterInnen der Debatte erfüllt sehen wollten: die Schaffung einer nationalen Identität und einer selbstbewussten Nation. Ihre Positionen treffen sich in dem Widerspruch, „nationale Identität auf einem Verbrechen aufbauen zu wollen, das jeden weiteren deutschen Nationalismus diskreditieren muss.“(8)
Diejenigen, die meinen, den Holocaust nicht zu relativieren, aber dennoch positive Schlüsse ziehen, argumentieren zynischer als jene, die den Holocaust von vornherein verharmlosen. So meinte Habermas im Zuge des Historikerstreits, dass sich „in der Kulturnation der Deutschen erst nach – und durch – Auschwitz“ universalistische Verfassungsprinzipien hätten bilden können. Er glaubte eine „Chance, die die Katastrophe auch bedeuten könnte“, zu erkennen und versuchte durch zweifelhafte Konstruktionen wie der „postkonventionellen Identität“, eine deutsche nationale Identität zu schaffen, die darin bestehen soll, dass es eben keine gebe; er stellte den Pluralismus als Lösung dar.(9)
Weiterhin wird die Auffassung vertreten, dass der 2.Weltkrieg erst die europäische Staatengemeinschaft ermöglichte. Diese These ist beispielsweise ein zentrales Element des Gründungsmythos‘ der EU. Im Zusammenhang mit der Verabschiedung der Europäischen Verfassung wurde der 9. Mai als EU-weiter Europatag festgeschrieben. An diesem Datum wurde 1950 in Paris die Schuman-Erklärung abgegeben, die die Pläne zur Montanunion vorstellt und als Beginn eines gemeinschaftlichen Europas angesehen wird. Zufällig ist dieses Datum sicherlich nicht gewählt. Auf den offiziellen EU Seiten heißt es zum Europatag und der Entstehung der EU: „In Europa leben seit Jahrhunderten Völker zusammen, die sich ihrer gemeinsamen Herkunft und ihrer kulturellen Verwandtschaft bewusst sind. Über Jahrhunderte haben sie sich als Nachbarn ergänzt und zusammengehörig gefühlt. Aber ohne feste Regeln und überstaatliche Einrichtungen konnte dieses Bewusstsein allein die Katastrophen nicht verhindern. Noch heute sind bestimmte Länder, die nicht zur Europäischen Union gehören, vor schrecklichen Tragödien nicht sicher.“(10) Eindeutig wird hier versucht eine gemeinsame europäische Leidensgeschichte/ Opfergeschichte zu schreiben, der Nationalsozialismus als Katastrophe kodiert, die über die kulturellen Völker hereingebrochen ist. Diese neuere Entwicklung im gesellschaftlichen Diskurs über den Zweiten Weltkrieg, die Europäisierung des Leidens, trägt weiter dazu bei, den Unterschied zwischen Opfern und deutschen TäterInnen in den Hintergrund zu schieben. Den Deutschen kommt dieser Feiertag gerade recht, lenkt er doch vom 8. Mai als Tag des Sieges über Deutschland ab oder ermöglicht eine Verbindung des 2. Weltkriegs mit der Entstehung der EU.
Auch die DDR interpretierte in die Vernichtung von über 6 Millionen Menschen etwas Positives. Sie wähnte sich auf der guten Seite und sah sich in der Tradition der antifaschistischen KämpferInnen. Diese ermöglichten mit Hilfe der Sowjetunion erst einen deutschen sozialistischen Staat. Zum Beispiel lautete das „Gelöbnis der deutschen Jugend“ anlässlich des 10. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Ravensbrück: „Der Strom Eures Blutes floss jedoch nicht vergebens. Er vereinigte sich mit dem Blut der ruhmreichen Helden der Sowjetarmee, die unser Volk und die Völker Europas vom Joch des Hitlerfaschismus befreiten. Die Völker der Sowjetunion stehen heute neben uns als unsere besten, teuersten Freunde. Neben uns steht auch Ihr, Ihr tapferen Mütter, mahnend und stärkend.“(11)
Diese Rhetorik weist zusätzlich auf die stereotypen Geschlechterbilder des Gedenkens hin, die

Frauen werden auf eine soziale Rolle reduziert, sie sind lediglich erziehende Mütter, aber keine Heldinnen. Reproduziert werden die Klischees der aktiven Männer und der passiven, erleidenden Frauen, denen eine metaphorische oder symbolische Rolle zugedacht wird.
Die Metapher der Mutter und des Gebärens wird häufig herangezogen, so zum Beispiel schreibt Brecht in seinem Werk „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ über den Faschismus: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“(12) Während hier die Mutter das Böse gebärt, befriedigen die Bilder des Mütterlichen ansonsten zumeist das Bedürfnis nach „nationaler Unschuld“.(13) Die nächste Generation steht für einen schuldfreien Neuanfang, der Wunsch nach einem „unbefleckten“ Nationalismus wird in den Mutter/Kind Darstellungen deutlich. Der Mutterkult des Gedenkens gipfelte in der Wahl der Käthe Kollwitz-Plastik „Mutter mit ihrem toten Sohn“ als Mittelpunkt der zentralen deutschen Gedenkstätte, der Neuen Wache in Berlin. „Das dargestellte mütterliche Leiden liefert ein Identifikationsangebot, das es den BetrachterInnen erleichtert, sich als trauernde Mitopfer wahrzunehmen.“(14) Jenseits der symbolischen Ebene werden die verfolgten und ermordeten Frauen kaum in das Gedenken einbezogen. Die Heldinnen des westdeutschen Diskurses sind die Trümmerfrauen, und für die Nationenkonstruktion der DDR sind die Widerstandskämpferinnen relevant. Doch auch sie werden als wehrlose Opfer repräsentiert, Widerstandskämpfer hingegen als Helden. So lauten Widmungen auf Kränzen anlässlich des 40. Jahrestages der Befreiung der Lager in Buchenwald und Sachsenhausen: „Den Opfern der Hitlerbarbarei, den Helden des antifaschistischen Widerstandes zum ewigen Gedenken.“ „Den Heldensöhnen des Sowjetvolkes, den aufrechten antifaschistischen Kämpfern, den Opfern der Hitler-Tyrannei zum Gedenken.“ In Ravensbrück wurde jedoch mit dem Spruch: „Den mutigen Frauen des antifaschistischen Widerstandes, den wehrlosen Opfern der faschistischen Bestie zum ewigen Gedenken.“ an die Befreiung erinnert.(15) Während bei den Männern das Rationale und Intentionale im Mittelpunkt steht, tragen der Zusatz „wehrlos“ und der dämonisierende Begriff „Bestie“ zu einer emotionalisierenden Verstärkung des Opferstatus der Frauen bei.

In der DDR und der BRD kamen Frauen unterschiedliche Funktionen innerhalb des Gedenkdiskurses zu, die vermittelten Frauenbilder waren jedoch mit der jeweils folgenden Ideologie übereinstimmend.

Eine Ausstellung und mehr

Unser Anliegen ist es, mit der Ausstellung an die Mädchen und Frauen aus dem KZ Uckermark zu erinnern. Die Ausstellung zeigt einen Ausschnitt des nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungswahns. Um möglichen Verkürzungen und Vereinfachungen, die sich aus der Form einer Ausstellung ergeben, entgegen zu wirken, bieten wir Informations- und Diskussionsveranstaltungen zu den Themen: Erinnerungspolitik, Frauen als Täterinnen im Nationalsozialismus und die Frauenforschung, Sozial- und Fürsorgepolitik und der HASAG in Leipzig an. Diese sollen zusammen mit den veröffentlichten Texten den linksradikalen Kontext, in dem wir die Ausstellung zeigen, verdeutlichen.

Literaturliste

Brecht, Bertolt: Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui. in: Ders: Werke. Bd. 7, Berlin/ FfM 1991, S. 8-115.
cehka: Abgearbeitet. in: Diskus, 2.02, S. 9-15.
Eschebach, Insa/ Jacobeit, Sigrid/ Wenk, Silke (Hg.): Gedächtnis und Geschlecht. Deutungsmuster in Darstellungen des nationalsozialistischen Genozids. FfM 2002. Eschebach, Insa: Heilige Stätte – imaginierte Gemeinschaften. Geschlechtsspezifische Dramaturgien im Gedenken. in: Dies: a.a.O., S.117-133.

Klarenbach, Viola/ Höfinghoff, Sandra: „Wir durften ja nicht sprechen. Sobald man Kontakt suchte mit irgendjemandem, hagelte es Strafen“. Das ehemalige Konzentrationslager für Mädchen und junge Frauen und spätere Vernichtungslager Uckermark. Berlin 1998 Kunstreich, Tjark: Ein bisschen Krieg, in: Jungle World, 49/2000 (29.11.2000).

Lenz, Claudia/ Schmidt, Jens/ von Wrochem, Oliver: Erinnerungskulturen im Dialog. Europäische Perspektiven auf die NS-Vergangenheit. Münster 2002.
Morgenthau-Plenum: Dialog der Generationen. in: Jungle World, 11/2001 (07.03.2001). Rhein Zeitung: Mehrheit für Holocaust Gedenkstätte. (Ausgabe vom 25.6.1999).
Wenk, Silke/ Eschebach, Insa: Soziales Gedächtnis und Geschlechterdifferenz. Eine Einführung. in: Dies: a.a.O., S.13-35.
Wippermann, Wolfgang: Räume ohne Rechte. in: Jungle World, 50/2001 (05.12.2001).

Fußnoten

(1) Klarenbach/ Höfinghoff, S.10.
(2) Kunstreich: „Ein bisschen Krieg“.
(3) Wippermann „Räume ohne Recht“.
(4) vgl. die berühmt-berüchtigten Äußerung des Kriegsministers, dass der Krieg gegen Jugoslawien nicht trotz, sondern wegen Auschwitz geführt werde.
(5) Eine gute Zusammenfassung der Etappen der „Vergangenheitsbewältigung“ findet sich in: Diskus, Nr. 2/02, S. 9-15.
(6) Wenk/ Eschebach S. 15.
(7) www.holocaust-mahnmal.de
(8) Morgenthau-Plenum: Dialog der Generationen.
(9) ebd.
(10) http://europa.eu.int/abc/symbols/9-may/euday_de.htm
(11) Zit nach Eschebach S.125. Vgl. auch die positive Bezugnahme in: „Heiliges Land ist das Fleckchen von Ravensbrück geworden […] durch die Asche der Frauen, die die Erde düngte für die neue Saat, die aus ihrem Opfertod hervorging. Die Ernte aus jener Saat von Blut und Leid kann nur eine glückliche und befreite Welt sein.“ aus: Die Freiheit vom 14.9.1949, zit. nach Eschebach S.120.
(12) Brecht, S. 112.
(13) Lenz, von Wrochem, Schmidt, S. 109.
(14) ebd., S. 110.
(15) Eschebach, S.123f.

KATEGORIE ASOZIAL

Hintergrundtext zur Ausstellung "Ihr seid nicht vergessen!"

2007

In dem KZ Uckermark waren vor allem Mädchen und junge Frauen inhaftiert, die nicht dem Bild der deutschen „Volksgemeinschaft“ entsprachen.
Die „Volksgemeinschaft“ war eine der tragenden Säulen nationalsozialistischer Ideologie. Sie sollte möglichst homogen sein – wer nicht in das Bild passte, wurde von der deutschen Bevölkerung und staatlichen Institutionen scharf beobachtet, verfolgt, separiert, ermordet. Neben Juden und Jüdinnen, die von vornherein aus der „Volksgemeinschaft“ ausgeschlossen waren, galten auch Menschen mit als von der Norm abweichendem Verhalten kategorisierten, v.a. in den Bereichen Wohnen, Arbeiten und Sexualität, als nicht dazugehörig. Sie wurden als „minderwertig“ und „gemeinschaftsunfähig“ klassifiziert und als „Asoziale“ bezeichnet.

Der Vielfalt der unangepassten Verhaltensweisen entsprechend ist der Begriff „asozial“ äußerst vage, in ihm wurde alles, was störte, zusammengefasst. Versuche von Definitionen finden sich in verschiedenen Erlassen von Himmler und dem Entwurf zum „Gemeinschaftsfremdengesetz“. Der Verfasser eines Handbuches über Erbkrankheiten forderte gar, die Definition solle dem „Volksempfinden“ überlassen werden.

Als Frühsymptome bei Jugendlichen galten z.B. Rauchen, Faulheit, Eigensinn, Trotz, Zerstörungslust, Schulschwänzen.(1) Schon in der Weimarer Republik gab es Ansätze zur Bekämpfung der „Asozialenfrage“, eine rechtliche Absicherung sollte durch das „Bewahrungsgesetz“ gewährleistet werden, das von vielen Fürsorge- und SozialpolitikerInnnen seit 1928 verstärkt gefordert wurde. Nach der Machtübernahme der Nazis wurden das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ und das „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher“ erlassen, im Mai 1939 folgte ein Erlass, in dessen Folge eine „Reichszentrale zur Bekämpfung der Jugendkriminalität“ innerhalb des Reichskriminalpolizeiamtes eingerichtet wurde. Ihre Aufgabe war „die kriminalpolizeiliche Überwachung von Kindern und Jugendlichen, die erblich kriminell belastet scheinen“(2), sowie die praktische Bekämpfung. Damit wurde in der Jugendpolitik nachgeholt, was für Erwachsene schon seit 1938 Praxis war. In diesem Jahr bekam die „Asozialenverfolgung“ eine neue Qualität, es wurden im Zuge der „Aktion Arbeitsscheu“ Menschen inhaftiert, denen man vorwarf, ungenügend zu arbeiten oder unentschuldigt zu fehlen. Zuspätkommen oder Krankheit konnte so Deportation in ein Arbeitslager und damit oft Tod bedeuten.

Unter „Jugendschutz“ gestellt

Der Erlass über die Bekämpfung der Jugendkriminalität beinhaltete explizit auch Anwendung „polizeilicher Zwangsmittel“(3), was u.a. Deportation in KZs bedeutete. 1940 wurde das „Jugendschutzlager“ Moringen eingerichtet, wobei hier nicht die Inhaftierten geschützt, sondern die Volksgemeinschaft vor dem Einfluss „volksschädigender Elemente“ bewahrt und darüber hinaus abgeschreckt werden sollte. Die Lager erfüllten eine doppelte Funktion: Während die Jugendbehörden eine Möglichkeit suchten, ihrer Meinung nach „unheilbare“ Fürsorgezöglinge aus den überfüllten „Bewahrungsanstalten“ auszugliedern, legte Himmler, der seit 1936 auch die Befehlsgewalt über die Polizei innehatte, den Schwerpunkt auf die Ausnutzung der Arbeitskraft der jungen Menschen. Die Jugendschutzlager war ein Reservoir an billigen ArbeiterInnen, die in den ersten Kriegsjahren gerade in der Rüstungsindustrie fehlten.

Das Mädchenkonzentrationslager Uckermark

In Moringen waren v.a. männliche Jugendliche inhaftiert, es gab aber auch zwei Blöcke mit Mädchen, die wie Strafgefangene behandelt wurden. 1941 wurde beschlossen, ein gesondertes Mädchenlager zu errichten, ein Jahr später wurde der Plan umgesetzt. In unmittelbarer Nähe des Konzentrationslagers Ravensbrück mussten Häftlinge Baracken bauen. In den Jahren ‘42 bis ‘45 waren insgesamt ca. 1200 weibliche Jugendliche inhaftiert. Vorgesehen war das Lager für Mädchen und Frauen im Alter zwischen 16 und 19, wobei die Altersgrenze in „begründeten Fällen“ unterschritten werden durfte, so dass auch bedeutend jüngere Mädchen eingewiesen wurden.

Einweisungsgründe waren bei den Mädchen neben der angeblichen Aussichtslosigkeit fürsorgerischer Maßnahmen wirkliche oder unterstellte Beteiligung am Widerstand, Verweigerung des BDM-Dienstes, „Arbeitsvertragsbrüche“, und insbesondere „sexuelle Verwahrlosung“. In seiner Schwammigkeit dem Begriff „asozial“ ähnlich, wurde unter dieser Bezeichnung alles subsumiert, was dem nationalsozialistischen Bild eines „gesunden, sittlichen“ weiblichen Privatlebens widersprach: eine Beziehung zu „Fremdvölkischen“, „häufig wechselnder Geschlechtsverkehr“, wobei es reichte, trotz nächtlicher Ausgangssperre auf der Straße angetroffen zu werden oder sich mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt zu haben, um unter Verdacht zu fallen. Die Kategorie „sexuelle Verwahrlosung“ wurde ausschließlich bei Mädchen und Frauen angewandt und war gleichzeitig der häufigste Einweisungsgrund, wohingegen sie bei Jungs gar nicht zum Tragen kam. Die Leiterin

Toberentz erklärte in einem Bericht über das KZ Uckermark: „Ursache und Art des Entgleisens sind immer wieder entscheidend geprägt durch die Triebhaftigkeit, die in Verbindung mit Hemmungslosigkeit und Minderbegabung zur sexuellen Verwahrlosung führt.“(4) Wie erwähnt kooperierten bei der Einweisung die Fürsorge- und Sozialbehörden eng mit der Kriminalpolizei und der GESTAPO. Die Einweisungsgewalt lag bei der Polizei, sie reagierte auf Anzeigen aus der Bevölkerung, von Eltern und LehrerInnen, sowie auf die Vorschläge der Fürsorgeheime und Sozialbehörden. Nach der Inhaftierung wurden die betroffenen Mädchen und Frauen zunächst zur „Sichtung“ in das KZ Ravensbrück gebracht, eine demütigende Prozedur, die Duschen, Kahlschur und „Untersuchung“ durch SS-ÄrztInnen beinhaltete, um dann ins KZ Uckermark überstellt zu werden. Neben der Leiterin Lotte Toberentz, eine Kriminalrätin der Weiblichen Kriminalpolizei (WKP), und ihrer Stellvertreterin Johanna Braach führten ca. 80 weitere angebliche Erzieherinnen die Aufsicht im KZ, jedem Block waren zwei SS-Kräfte der WKP zur „Bewachung und Anleitung der Häftlingsarbeit“ (5) zugeteilt. Jeweils achtzehn Mädchen und jungen Frauen lebten in einer Baracke, wobei es verschiedene „Blöcke“ gab, in die sie je nach „Schwere des Falls“ eingeteilt wurden. So ergab sich ein „Drei-Stufen-System“: Vom sogenannten Beobachtungsblock für die gerade Eingelieferten kamen die Mädchen nach ca. einem halben Jahr in den Block für „Erziehungsfähige“ oder den für „Triebhafte, ewige Querulantinnen und Uneinsichtige“. Zusätzlich gab es einen „Sonderblock“ für slowenische Mädchen/Frauen, die im Verdacht standen, PartisanInnen unterstützt zu haben, und somit politische Gefangene waren. Für die Beurteilung innerhalb des „Drei-Stufen-Systems“ waren „kriminalbiologische“ Gesichtspunkte ausschlaggebend, die von Robert Ritter, Leiter des Kriminalbiologischen Instituts der Sicherheitspolizei, erstellt wurden. In der Bekämpfung der „Asozialen“ hatte die Kriminalbiologie im Laufe der dreißiger Jahre eine immer wichtigere Position eingenommen. Sie beruht auf der Prämisse, dass kriminelle und asoziale Verhaltensweisen erblich bedingt seien; Ziel war es, „die Persönlichkeit des Rechtsbrechers und die Ursachen seines dissozialen Handelns zu erforschen.“(6) Das Mädchen-KZ Uckermark galt Ritter als Experimentier- und Forschungsfeld für das „Wachsen und Werden von Verbrecherfamilien“. Dementsprechend hatte in der Beurteilung der Häftlinge das Leben der Eltern einen großen Einfluss: z.B. Alkoholismus eines Elternteils, Unehelichkeit oder Abhängigkeit von Sozialhilfe wirkten sich negativ aus. Der Alltag der Häftlinge war geprägt von Schikanen und Zwangsarbeit. Es gab elf Arbeitskommandos mit unterschiedlich schwerer Arbeit, u.a. bei Siemens und in der Land- und

Forstwirtschaft; im Lager mussten sie z.B. kochen, Puppen für SS-Angehörige nähen oder Kleidung ausbessern. Die Lagerordnung zielte auf totale Isolation der Häftlinge ab: Briefe wurden zumindest zensiert, wenn sie denn empfangen oder verschickt werden durften, und nach innen versuchte man eine Solidarität unter den Häftlingen durch ein 24-stündiges Redeverbot zu verhindern. Ein diesbezüglicher Regelbruch zog schwere Strafen nach sich, z.B. Ohrfeigen, Prügel, Strafstehen, Verwarnungen, Entziehen von Vergünstigungen und Essen, Arrest. Meist wurden auch die arbeitsfreien Sonntage mit Strafen für Verstöße gefüllt. Nach frühestens anderthalb Jahren oder mit Erreichen der Altersgrenze wurde eine mögliche Entlassung geprüft, auch hierbei basierte die Entscheidung auf den kriminalbiologischen Beurteilungen. Die Frauen aus dem Block für „Erziehbare“ mussten nach ihrer Entlassung in der Land-, Forst- oder Hauswirtschaft oder der Rüstungsindustrie arbeiten, die anderen verblieben im nationalsozialistischen Lagersystem; sie wurden ins KZ Ravensbrück oder in sogenannte Pflege- und Heilanstalten überwiesen.

Das Vernichtungslager Uckermark

Ab Ende ‘44 war in Ravensbrück wie in anderen KZs die Überfüllung dermaßen groß, dass man nach Möglichkeiten suchte, die Vernichtungsmaschinerie zu effektivieren. Weil das Lager Uckermark nah bei Ravensbrück war, dort die Baracken schon vorhanden waren und das SS- Überwachungssystem installiert, bot es sich an, es auch als Vernichtungslager zu nutzen. Der dafür vorgesehene Teil des „Jugendschutzlagers“ wurde durch einen Stacheldraht abgetrennt; in diesem Bereich wurden einige Baracken zu Gaskammern umgebaut. In dem Mädchenlager blieben von den Inhaftierten vierzig bis sechzig Mädchen, einige wenige wurden entlassen, der überwiegende Teil wurde nach Ravensbrück oder in andere Lager verlegt. Die Arbeitsunfähigen aus Ravensbrück, sowie die Überlebenden des Warschauer Aufstands wurden selektiert und in das neu errichtete Vernichtungslager gebracht. Einige Frauen aus Ravensbrück meldeten sich freiwillig, weil sie dem von den Aufseherinnen lancierten Gerücht glaubten, dass im ehemaligen Jugendlager bessere Arbeitsbedingungen herrschten. In Wirklichkeit wurden die Frauen dort systematisch umgebracht, zum einen durch die weiter verschlechterten „Lebensbedingungen“, z.B.: eine Unterkunftsbaracke für 400 Frauen, stundenlanges Appellstehen, Herabsetzung der Lebensmittelrationen und den Gefangenen wurden Mäntel und Decken weggenommen. Gleichzeitig wurden Frauen gezielt in Gaskammern und mobilen Gaswagen, durch Erschießungen und Giftinjektionen getötet. Die genaue Zahl der Ermordeten ist nicht bekannt, Schätzungen zufolge wurden zwischen

Januar und April 1945 ca. 5000 bis 6000 Frauen ermordet. Zur Tarnung wurde in die Akten der Frauen, die ermordet werden sollten, der Vermerk „Schonungslager Mittwerda“ geschrieben. Am 14. April wurden die letzten noch lebenden Häftlinge überstürzt ins Hauptlager zurückverlegt. Bis zur endgültigen Befreiung fand noch ein weiterer letzter Funktionswandel statt. Das ehemalige „Jugendschutzlager“ diente nun als Zwischenstation u.a. für die Überlebenden des Transports aus dem geräumten Konzentrationslager Mittelbau-Dora, der sich mit etwa 4000 männlichen Häftlingen in Bewegung gesetzt hatte. Ende April befreite die Rote Armee die Lager Uckermark und Ravensbrück. Das Gelände wurde nach Kriegsende zum militärischen Sperrgebiet und z.T. durch die Rote Armee überbaut. 1993 zogen die GUS-Truppen ab, 1997 fanden drei Workcamps statt, um die Fundamente freizulegen und mehr über das Lager herauszufinden. Die Lagergemeinschaft Ravensbrück/Freundeskreis e.V. bemüht sich seit Jahren, die Geschichte des Mädchen-KZs bekannter zu machen und die Zerstörung der Spuren und Fundamente aufzuhalten. So konnten durch Proteste die Eröffnung eines bereits gebauten Supermarkts verhindert und der Bau einer Umgehungsstraße verschoben werden. Inzwischen hat die für das Gelände zuständige Stadt Fürstenberg die Bereitschaft zu einer so weit es geht angemessenen Gestaltung des Areals signalisiert und schrieb einen Internationalen Landschaftsplanerischen Ideenwettbewerb für eine Gesamtkonzeption aus, wobei die Lagergemeinschaft Ravensbrück/Freundeskreis nicht einbezogen wurde. Eine Auflage des Wettwerbs war, eine möglichst kostengünstige Idee zu entwickeln. Doch auch eine Umsetzung der „Billigpläne“ ist mit der Begründung mangelnder Finanzierungsmöglichkeiten ausgesetzt worden. Eine Gedenkstätte, die auch ausdrücklich auf das KZ Uckermark und seine Hintergründe eingeht, wird es nicht geben.

Nach ‘45: Aus dem öffentlichen Bewusstsein verbannt

Auch nach 1945 setzte sich der Leidensweg für die im Nationalsozialismus als „Asoziale“ verfolgten Menschen oftmals fort. Das harte Vorgehen gegen „Asoziale“, die der NS-Ideologie folgend mit „Kriminellen“ gleichgesetzt wurden, wurde in der Nachkriegszeit als positiv gewertet, Zwangsarbeit, KZ, Misshandlungen dieser Menschen galt nicht als NS-Unrecht. Im Bundesentschädigungsgesetz (BEG) von 1953, das Entschädigung im Sinne von Schadensausgleich gar nicht vorsah, wurde anerkannt, dass „Personen, die wegen ihrer politischen Überzeugung , aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verfolgt worden sind, Unrecht geschehen

ist.“(7) Mit dieser Formulierung wird die Sicht der TäterInnen reproduziert, nicht die Verfolgung und Verschleppung ins KZ, sondern die Motivation der Nazis ist der Maßstab für die Eingriffe bzw. Zerstörung der Menschenwürde. Dadurch bleiben viele Gruppen und Einzelpersonen stigmatisiert und als Opfer aus dem öffentlichen Bewusstsein ausgeschlossen, z.B. auch Homosexuelle, Behinderte, sogenannte „Arbeitsscheue“, Prostituierte und andere, die als „Unwerte“ kategorisiert wurden. Viele schämten sich für ihren Aufenthalt im KZ Uckermark, hielten es sogar vor engsten Verwandten geheim; eine Organisation fand kaum statt, auch weil sie als „Nicht-politisch- Verfolgte“ aus Überlebendenverbänden ausgeschlossen wurden. Im Fall der „Jugendschutzlager“ ergibt sich die zusätzliche Härte, dass sie erst 1970 als Konzentrationslager anerkannt wurden. Das Lager Uckermark wurde zuvor als Fürsorgeheim gesehen, die vielfältigen Anbindungen an das FKL Ravensbrück, der Einsatz von SS-Kräften und ähnliches galten in den Prozessen als sekundär. Keine der Verantwortlichen wurde nach 1945 bestraft, Lotte Toberentz (Leiterin) und Johanna Braach (Stellvertreterin) wurden zwar wegen Misshandlungen angeklagt, aber aufgrund mangelnder Beweise nicht verurteilt. Im Gegenteil, alle Aufseherinnen konnten bruchlos ihre Berufe wiederaufnehmen und als z.B. Kriminalbeamtinnen und Sozialarbeiterinnen arbeiten. Die Aufseherinnen, die im Mädchen- KZ den Frühsport abhielten, wurden danach oft als Turnlehrerinnen beschäftigt. Entschädigungen für die ehemaligen Inhaftierten wurden kaum gezahlt. Nach Anerkennung von Moringen und Uckermark als KZs gab es eine halbjährliche Frist, in denen sie Anträge auf „Wiedergutmachung“ stellen konnten. Die Betroffenen erfuhren davon nichts oder viel zu spät, da diese Maßnahme nur im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde. Seit den ‘80er Jahren gibt es in zwar in einigen Bundesländern Härtefonds, um aber die meist geringfügigen Zahlungen zu erhalten, müssen die Opfer langwierige, komplizierte und oft demütigende Prozesse führen.

Literaturliste:
(Hg.) Füllberg-Stolberg, Claus u.a.: Frauen in Konzentrationslagern. Bergen Belsen,

Ravensbrück. Bremen 1994.
(Hg.) Limbächer, Katja; Merten, Maike; Pfefferle, Bettina: Das Mädchenkonzentrationslager Uckermark. Beiträge zur Geschichte und Gegenwart. Münster 2000.
Klarenbach, Viola; Höfinghoff, Sandra: „Wir durften ja nicht sprechen. Sobald man Kontakt suchte mit irgendjemandem, hagelte es Strafen.“. Das ehemalige Konzentrationslager für Mädchen und junge Frauen und spätere Vernichtungslager Uckermark. Berlin 1998.
Ayaß, Wolfgang: „Asoziale“ im Nationalsozialismus. Stuttgart 1995.

Fußnoten:

(1) Frauen in Konzentrationslagern, S.300
(2) zit. nach „Wir durften ja nicht sprechen“, S. 12
(3) Ayaß, „Asoziale“, S.180
(4) L.Toberentz, zit. nach das Mädchenkonzentrationslager Uckermark, S.26 (5) Das Mädchenkonzentrationslager Uckermark S.27
(6) R. Ritter, zit nach Das Mädchenkonzentrationslager Uckermark, S.26
(7) zit. nach Das Mädchenkonzentrationslager Uckermark, S. 210

SAVE THE RESISTANCE! Bundesweite Demonstration gegen Überwachungsgesellschaft und Sicherheitswahn

Kurzfassung des Aufrufes zur bundesweiten Demo gegen Überwachungsgesellschaft und Sicherheitswahn am 14.10.2000 in Leipzig.

14.10.2000

Eine Kooperation von Bündnis gegen Rechts Leipzig (BGR) und Antifaschistischer Frauenblock Leipzig (AFBL) in Zusammenarbeit mit der Kampagne zur Rückgewinnung öffentlicher Räume.

Der Diskurs der “Inneren Sicherheit” steht seit einigen Jahren hoch im Kurs. War früher der bolschewistische Ostblock oder umgekehrt der imperialistische Klassenfeind das Schreckensszenario, was die innere Sicherheit gefährdete, lebt heute der Diskurs der “Inneren Sicherheit” von anderen Feinden. Der “Asylantenflut” wurde schon 1993 mit der Änderung im Grundrecht effektiv begegnet, was die “Angst” der deutschen Bevölkerung vor allen Fremden aber nicht bremsen konnte, denn weitere rassistische Gesetzgebungen folgten und der rassistisch motivierten Eigeninitiative einiger Deutschen fielen weitere Menschen zum Opfer. Doch die Gefahr für die innere Sicherheit lauert überall: ”albanische Drogenmafia”, “rumänische Schmucklerbanden”, “polnische Autoschieber”, “gewaltbereite Jugendliche”, “Penner”, “Schmierfinken”, “Autonome”. Neue Gesetze mußten her: Lauschangriff, schärfere Länderpolizeigesetze, Ausweitung polizeilicher Befugnisse, allgemeines Kontrollrecht, Vorbeugegewahrsam, Einschränkung des Demonstrationsrechtes, Videoüberwachung öffentlicher Plätze, polizeiliche Verfolgung von SchulschwänzerInnen, Gendatenbanken, Reiseeinschränkung für Hooligans etc. Doch uns ist aufgefallen, das der herkömmliche Begriff Überwachungsstaat das Phänomen nicht erfaßt. Es ist nicht allein der Staat, der Menschen normiert und überwacht, der Menschen ausgrenzt und gegen sie vorgeht. Der Sicherheitswahn durchzieht einen Großteil der Gesellschaft. Unser Hauptaugenmerk soll sich daher gegen die Überwachungsgesellschaft richten.

Den Vorstellungen einer herrschaftsfreien Gesellschaft stehen heutzutage nicht mehr offensichtlich absoluter Staat oder die Bourgeoisie von vor 150 Jahren entgegen. Unterdrückungs- und Herrschaftsverhältnisse reproduzieren sich quer durch die

Gesellschaft. In Familie, Schule, Uni, Fabrik, Militär etc. Zu leiden haben in erster Linie die, die bestimmte Kriterien nicht erfüllen können oder wollen, und nicht in die ihnen zugewiesenen Rollen schlüpfen wollen. Männlich, weiß, heterosexuell, arbeitsam, diszipliniert und gesund sind beste Kriterien, die eine gute Ausgangslage garantieren. Disziplinierungstechniken von gestern ergeben mit neuen von heute ein komplexes Kontrollsystem, dem sich einzelne kaum noch entziehen können. Das harte Regime des Lernens, Lebens und Arbeitens, welches seine Vollendung im Arbeitstakt der Fließbänder fand, wird heute ersetzt oder ergänzt durch Methoden, die keine sklavische Unterwürfigkeit erfordern und doch funktionieren, besonders dann, wenn die Teilnehmenden mitmachen. Und bekanntlich machen die meisten mit, da sie es aus ihrer Familie, Schule und Uni nicht besser kennen. Teamwork, Sozialarbeit, Dresscode etc. regeln heute zusätzlich Konformität und Leistungsbereitschaft und suggerieren zugleich Gleichheit und Freiheit. Doch das war es noch nicht, was Überwachungsgesellschaft ausmacht.

Ein großer Teil der Identität wird heutzutage aus Konsumfähigkeit und –sicherheit gespeist. Nicht umsonst schreitet in den Bereichen von Konsum und Eigentumssicherung die Überwachung ideologisch und technisch am schnellsten fort. Die Armut stört. Niemand will sie in den glänzenden Einkaufszentren sehen oder von ihr bedroht werden. Nicht selber in Armut zu verfallen, fördert wieder die eigene Anpassung an die Gemeinschaft, um ja dazu zu gehören. Der Kapitalismus schafft unterschiedliche Besitzschichten. Das führt zu Konflikten, denen repressiv vorgebeugt wird. Sicherheitspartnerschaften zwischen Geschäften, Polizei und privaten Sicherheitsdiensten gehören heute zu Innenstädten, wie das Schengener Abkommen zu Europa gehört, um sich vor Menschen zu schützen, die mit ihrer Armut in der Festung Europa nicht erwünscht sind. Hier sei nur an das Schengener Informationssystem (SIS) erinnert, daß zu 90 Prozent mit Daten von Personen gefüllt ist, deren Einreise nicht erwünscht ist, und von sämtlichen Behörden, Polizei und Soldaten ergänzt und benutzt wird. Das moderne Marketing als Ausdruck der Identitäts- und Wertevermittlung im ökonomischen System des Kapitalismus tut sein übriges, um Werte zu pushen. Konsum und Besitz bestimmen die Stufe des sozialen Seins, verkörpern Sicherheit und Zufriedenheit im Leben

Aber nicht nur Kaufkraft und Besitz, auch eine Vielzahl traditioneller Werte und Identitätsmuster verursachen den Wahn nach mehr Sicherheit. In Sachsen beispielsweise wurden wieder Kopfnoten in der Schule eingeführt. Ordnung, Disziplin, Mitarbeit und Fleiß, auch deutsche Sekundärtugenden genannt. Dieser Wahn schafft eine Identität, der diejenigen zum Opfer fallen, die aufgrund ihrer Herkunft nicht dazu gehören dürfen oder diejenigen, die diese Tugenden nicht erfüllen können und wollen. Die Überwachungsgesellschaft spiegelt also ökonomische, institutionalisierte und ideologisierte Herrschaftsverhältnisse wider.

Linksradikale betrifft diese gesellschaftliche Realität ebenfalls. Wir sind eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung dieser Gesellschaft. Denn die Vorstellung einer herrschaftsfreien Gesellschaft, stellt Kapitalismus, Patriarchat und Vaterland mit samt deren Institutionen immer wieder grundsätzlich in Frage. Es geht am Ende nicht darum, liberale Positionen, wie es die der individuellen Freiheit ist, zu verteidigen, aber darum, die Spielräume für unsere Handlungsfähigkeit nicht noch enger werden zu lassen.

Handlungsansätze sollen hier nicht tot geredet werden. Auch wenn die Überwachungsgesellschaft vielschichtig ist, sind einige Orte von Macht und Ordnung immer noch leicht lokalisierbar. Der Staat, die Polizei und die Bürgerinitiative für mehr Ordnung und Sicherheit sind als Zielflächen zunächst vorhanden. Die gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse müssen uns aber dabei bewußt bleiben, um nicht nur einzelne Phänomene zu bekämpfen. Es wird sich zeigen, daß die Politik von Sicherheitshysterie und Überwachungswahn angreifbar ist.

Es ist nie falsch, das Richtige zu tun!
Gegen Kapitalismus – für eine herrschaftsfreie Gesellschaft


afbl

antifaschistischer frauenblock leipzig